Die Geschichte der Hugenotten

 

Geschichte der Hugenotten
Von Jochen Desel in zusammenarbeit mit
Ursula Fuhrich-Grubert und Andreas Flick


Die Hugenotten in Frankreich


Die Gedanken der Reformation Martin Luthers konnten sich nach dem Wittenberger Thesenanschlag 1517 auch in Frankreich ausbreiten. Die französische Reformbewegung war bestimmt durch den Humanisten Faber Stapulensis (1455-1536) in Paris, den Bischof von Meaux Guillaume Briçonnet (1470-1534) und Guillaume Farel (1489-1565) aus Gap im Dauphiné. Da der französischen Reformation zunächst eine überragende Führerpersönlichkeit fehlte und die französische Krone an der alten katholischen Lehre festhielt, blieben die so genannten luthériens oder bibliens von Anfang an eine Minderheit. Die französischen Könige Franz I. (1515-1547) und Heinrich II. (1547-1559) ließen die Befürworter der Reformation als Ketzer verfolgen, die Hugenotten genannt wurden.


Der französische Reformator Calvin


Erst Calvin (1509-1564) gelang es, den Fortbestand der evangelischen Bewegung in Frankreich und damit der Hugenotten mit seinen Schriften zu sichern.
Calvin, 1509 in Noyon in der Picardie geboren, studierte in Paris, Orléans und Bourges Jura und Theologie. Er schloss sich um 1533 der Reformation an und wurde 1536 von Guillaume Farel zur Einführung der reformatorischen Lehre in Genf gewonnen. Sein Engagement galt der Ausbreitung der reformierten Lehre sowie der Kirchenorganisation. In Genf führte Calvin in der neu gegründeten reformierten Kirche eine strenge Kirchenzucht ein, die dem Aufbau der Gemeinden dienen sollte. Mit einem negativen Gutachten wurde Calvin mitschuldig am Feuertod des nach Genf gekommenen spanischen Philosophen und Arztes Michael Servet (1511?-1553), der die Dreieinigkeit Gottes leugnete und deshalb als Ketzer sterben musste.
Das geschichtliche Bild Calvins ist freilich von der Polemik seiner Gegner verzeichnet worden. Tatsächlich war Calvin ein beliebter Lehrer der studentischen Jugend Europas in der neu entstandenen Genfer Akademie. Vor allem war er ein Seelsorger von hoher Autorität für die hugenottischen Märtyrer in Frankreich. Seine Briefe, mit denen er sie getröstet hat, sind erhalten geblieben. Sie offenbaren seine tiefe Menschlichkeit. Es lohnt sich, sie zu lesen, um den anderen Calvin kennen zu lernen.
Der Genfer Reformator hat sich auch literarisch für die Glaubensfreunde in der französischen Heimat eingesetzt. In seinem Widmungsschreiben an König Franz I. von Frankreich, dem er sein theologisches Hauptwerk, die Institutio Christianae Religionis 1536 übersandte, trat er als scharfsinniger und wortgewaltiger Anwalt für den reformierten Glauben ein. Sein vordringliches Ziel war die Rehabilitierung der verfolgten Glaubensbrüder.
Leider blieb der Appell an den französischen König ungehört. Die Krone setzte die Repressalien gegen die reformierten Christen in Frankreich fort.
Von Genf aus versuchte Calvin kontinuierlich auf die politische Entwicklung in Frankreich Einfluss zu nehmen. Er korrespondierte mit den Hugenottenführern Louis de Condé (1530-1569) und Gaspard de Coligny (1519-1572) und er entsandte seinen Vertrauten Theodor Beza (1519-1605) zum Religionsgespräch von Poissy, das im September 1561 auf Initiative der Regentin Katharina von Medici stattfand, jedoch ergebnislos abgebrochen wurde.
An der ersten Synode der Hugenottengemeinden Frankreichs 1559 in Paris konnte Calvin nicht teilnehmen. Er war aber der geistige Vater des dort verabschiedeten Glaubensbekenntnisses (confession de foi) und der Kirchenordnung (discipline ecclésiastique), die er mit seinen schriftlich fixierten Ratschlägen für Kirchen- und Sittenzucht vorbereitet hatte. Mit diesen beiden Dokumenten war die Weiterführung der Reformation zur reformierten Glaubensrichtung innerhalb des französischen Protestantismus abgeschlossen.


Acht Hugenottenkriege

Die inzwischen trotz der Verfolgungen durch die Unterstützung des Königreichs Navarra und eines Teils des Adels in Frankreich erstarkten Hugenotten schlossen sich um 1560 zu einer politischen Partei zusammen. Den Widerständen der katholischen Gegenpartei der Guise versuchten sie mit einer eigenen Armee zu begegnen, die auch deutsche Unterstützung vor allem durch Reitertruppen erhielt.
In acht Kriegen in Frankreich wurde zwischen der Krone und der Partei der Guise sowie den Truppen der Hugenotten mit äußerster Härte und mit wechselndem Kriegsglück gekämpft. Die Auseinandersetzungen begannen 1562 mit dem Überfall auf einen reformierten Gottesdienst in der Scheune von Vassy in der Champagne durch den Herzog von Guise und endeten mit der Befriedung des Landes durch das von König Heinrich IV. erlassene Edikt von Nantes 1598.

 

Die Bartholomäusnacht

Ausgerechnet in dem wirtschaftlich und kulturell fortschrittlichen europäischen Land Frankreich fand der erste Pogrom der Neuzeit, die Pariser Bluthochzeit der Bartholomäusnacht statt. Im Morgengrauen des 24. August 1572 läutete die Sturmglocke der Pariser Kirche Saint-Germain l'Auxerrois das Morden ein. Es starben ca. 2.000 Hugenotten in den Häusern und Straßen der Hauptstadt, in den anschließenden Wochen ca. 10.000 Hugenotten in anderen Städten Frankreichs. Soldaten des Herzogs Heinrich I. von Guise (1550-1588, genannt le balafré, der Narbige), Pariser Hilfstruppen und das unzufriedene Hauptstadtproletariat waren die Ausführenden. Im Hintergrund hatten außenpolitische Gründe zu dem Morden geführt.
Im August 1570 hatte das Edikt von St. Germain den dritten Hugenottenkrieg beendet. Die Heirat des Protestantenführers Heinrich von Navarra (1553-1610) mit der katholischen Margarete von Valois (1553-1615), der Tochter der ehrgeizigen Katharina von Medici (1519-1589) sollte dem Frieden zwischen den verfeindeten Parteien des Landes dienen. Die königliche Hochzeit fand in Gegenwart vieler hugenottischer Adligen des Landes statt, die aus diesem Anlass in die Hauptstadt gekommen waren.
Dem Anführer der Hugenotten, Admiral Gaspard de Coligny, der das Vertrauen des jungen und schwachen Königs Karl IX. (1550-1574) besaß, war die katholische Partei zu mächtig geworden. Als er den König für eine Hilfsexpedition in die Niederlande gegen das katholische Spanien gewonnen hatte, versuchte Philipp II. von Spanien mittels eines gedungenen Mörders Coligny zu beseitigen. In einem Attentat am 22. August 1572 wurde der Hugenottenführer aber nur leicht verletzt. Jetzt ging die prospanische katholische Partei aufs Ganze. In der durch große Sommerhitze, Wassermangel und soziale Spannungen auf Siedehitze gereizten Stadtbevölkerung konnte schon ein kleiner Funke zu einem Flächenbrand führen. Das geschah, als die Kirchenglocken den Mord an den Protestanten in Paris einläuteten. Vorher war König Karl IX. von Frankreich auf die Seite der Feinde Colignys gezogen worden.
Die Mordtruppen standen unter dem Kommando des Herzogs Heinrich von Guise. Zuerst wurde Coligny in seinem Haus in der heutigen Rue de Rivoli, ca. 400 Meter vom Louvre entfernt, enthauptet. Seine Mörder warfen den Leichnam aus dem Fenster auf die Straße, wo Heinrich von Guise seinen Tod konstatierte. Die entfesselte Menge ermordeten die nach Paris zu den Hochzeitsfeierlichkeiten gereisten Hugenotten, und zwar unterschiedslos Männer, Frauen und Kinder. Von dem Massaker wurden wegen ihres hohen Ranges jedoch Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé (1552-1588) verschont.
Am 26. August 1572 übernahm Karl IX. in einer Erklärung die Verantwortung für die Mordtat. Die eigentlichen Verantwortlichen waren jedoch das katholische Spanien, der Herzog Heinrich von Guise (1550-1588) und eine katholische Kirche, die alles stillschweigend duldete. Papst Gregor VIII. (1502-1585) ließ in Rom sogar eine Siegesmedaille mit der Aufschrift prägen: Niedermetzelung der Hugenotten (Ugonottorum Strages 1572) und gab bei dem bedeutenden italienischen Renaissancemaler Giorgio Vasari (1511-1574) ein Historienbild in Auftrag, das noch heute als dreiteiliges Fresko in der Sala Regia des Vatikans in Rom zu sehen ist. Diese Bilder des Schreckens feiern den Triumph der vorgeblich gerechten Sache.
Dem Morden in Paris folgten Massaker in vielen Städten des Landes, u. a. in Orléans, Meaux,
Bourges, Albi, Rouen im September; in Toulouse, Gaillac und Bordeaux im Oktober. Deshalb hat der französische Historiker Jules Michelet mit Recht festgestellt: Die Bartholomäusnacht war nicht nur ein Tag, es war eine Saison.
Die politischen Auswirkungen der Bartholomäusnacht waren eher nachteilig für die Anstifter. Das Morden in Paris hatte europaweites Entsetzen ausgelöst. In den protestantischen Ländern wuchs die Bereitschaft, den Hugenotten mit Hilfsmitteln und Hilfstruppen zur Seite zu stehen.
Nur vier Jahre später musste Heinrich III.(1551-1589), der Nachfolger des früh verstorbenen Karls IX. auf dem französischen Königsthron, die Ereignisse in Paris offiziell missbilligen. Darüber hinaus hatte der Überfall auf die Hugenotten dazu geführt, dass sie sich verstärkt als politische Partei organisierten, um auf Gewalttaten wie die Bartholomäusnacht besser reagieren zu können. Sie fanden weiterhin die Unterstützung des reformiert erzogenen Heinrich von Navarra, der 1589 nach der Ermordung Heinrichs III. als Heinrich IV. König von Frankreich wurde. Er konvertierte zwar 1593 zum Katholizismus (Paris ist eine Messe wert), sicherte aber seinen protestantischen Glaubensfreunden mit dem Edikt von Nantes die Duldung als religiöse Minderheit in seinem Staate.


 

Vom Edikt von Nantes 1598 zum Edikt von Fontainebleau 1685

Das von Heinrich IV. 1598 in Nantes, der westfranzösischen Stadt an der Loiremündung, erlassene Edikt gab den reformierten Christen in Frankreich erstmals eine Grundlage für ein relativ unbedrohtes Leben und eine in Grenzen freie Religionsausübung. Es sollte ewige Gültigkeit haben, die Hugenottenkriege dauerhaft beenden und den inneren Frieden in Frankreich wiederherstellen. Das Edikt war der schriftliche Ausdruck eines Kompromisses zwischen der katholischen Staatsreligion und der Konfession einer bedeutenden Minderheit in der Bevölkerung.
95 Artikel des Edikts sichern den Hugenotten die reformierte Religionsausübung im privaten Bereich und öffentlich in den von ihnen militärisch beherrschten Städten zu. Eine Amnestie für vergangene Unrechtstaten wird ausgesprochen. Die Protestanten werden zu Staatsämtern zugelassen. Für die Ausbildung reformierter Prediger dürfen Akademien eingerichtet werden. In katholischen Gebieten, am königlichen Hof und in der Hauptstadt Paris darf der reformierte Gottesdienst dagegen nicht ausgeübt werden (Art.13). Auch den Katholiken im Königreich werden Zugeständnisse gemacht.
Das Edikt von Nantes hatte keinen dauerhaften Bestand. Nach dem Tod Heinrichs IV. (1610) und dem Fall der protestantischen Seefestung La Rochelle 1628 unter Ludwig XIII. (1601-1643) gerieten die Hugenotten, die einen Staat im Staate gebildet hatten, immer stärker in Bedrängnis. Die Zahl der Verbote für Beruf, Gottesdienst, öffentliches Wirken und Familienrecht nahm zu, besonders nach dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. im Jahr 1643. Die von 1643 bis 1680 sich ausweitenden Einschränkungen der religiösen Freiheit der Hugenotten und die Dragonaden, die Einquartierung von Dragonern als gestiefelte Missionare des Königs in den Häusern der bekehrungsunwilligen Protestanten, wurden immer unerträglicher.
Den Schlusspunkt in dieser Kampagne gegen die Hugenotten bildete das Edikt von Fontainebleau, das Ludwig XIV. am 18. Oktober 1685 im Königsschloss Fontainebleau südlich von Paris proklamierte. Eigentlich verfolgte Ludwig XIV. (1638-1715), der Enkel Heinrichs IV., das gleiche Ziel wie sein Großvater: Er wollte als absolutistischer Herrscher sein nach wie vor zerrissenes Volk einigen. Im Gegensatz zu Heinrich IV. wollte er dieses Ziel durch Abschaffung der Rechte der protestantischen Minderheit und ihre Rekatholisierung erreichen. Seine Devise lautete: Une foi, une loi, un roi (ein Glaube, ein Gesetz, ein König).
Der Text des Edikts von Fontainebleau mit nur 11 Artikeln widerrief die Bestimmungen des Edikts von Nantes und regelte im Einzelnen:
Die Zerstörung aller reformierten Kirchen im Lande und das jetzt für alle Orte des Königreichs gültige Gottesdienstverbot (1-3),
die Aufforderung an die reformierten Prediger, sich zur katholischen Religion zu bekehren oder Frankreich innerhalb von 15 Tagen zu verlassen; aber auch die Zusage einer Erhöhung ihres Gehaltes um ein Drittel und weitere Vergünstigungen für die zur Bekehrung bereiten reformierten Prediger, so das Angebot ihrer Umschulung zu Juristen (4-6),
katholische Zwangstaufe und katholische Erziehung für die bisher reformierten Kinder, sowie
das Verbot von reformierten Schulen in Frankreich (7-8),
das ausdrückliche Verbot für die Hugenotten, das Land zu verlassen, und die Zusage an die Reformierten, die vor Erlass des Edikts das Königreich verlassen hatten, nach Abschwörung ihres Glaubens innerhalb von vier Monaten nach Frankreich unter Wiedereinsetzung in alle Rechte und mit Erstattung ihres Besitzes zurückkehren zu dürfen (9-10),
das Versprechen für die in Frankreich bleibenden Protestanten, im Land zu leben, ohne Nachteile wegen ihrer vorgeblich reformierten Religion zu haben, wenn sie nicht öffentliche Gottesdienste etc. veranstalten, ... bis es Gott gefällt, sie wie die übrigen zu erleuchten (11).
Der Artikel des Edikts von Fontainebleau, das den französischen Protestanten so nachdrücklich die Auswanderung verbot, konnte ca. 170.000 Hugenotten nicht daran hindern, ihre geliebte Heimat zu verlassen und in die umliegenden Länder zu fliehen.


 

Die reformierte Kirche in Frankreich nach 1685

Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes durch das Edikt von Fontainebleau hatten die Hugenotten den letzten Freiraum zur Ausübung ihrer Religion im eigenen Lande verloren.
Von den geschätzten 800.000 Hugenotten, die 1670 vor der Eroberung des Elsass durch Ludwig XIV. unter ca. 19 bis 20 Millionen Katholiken in Frankreich lebten, traten die meisten nach 1685 als Neukonvertierte der katholischen Kirche bei. Eine kleine Zahl von ihnen überlebte als Kirche der Wüste (église du desert) im Untergrund alle Verfolgungen, geführt von Antoine Court (1695-1760), dem Prediger der Wüste. Er gründete 1727 im schweizerischen Lausanne eine Ausbildungsstätte für die illegalen reformierten Prediger in Frankreich. Der andere bekannte Prediger der Wüste Paul Rabaut (1718-1794) kämpfte leidenschaftlich um die Duldung der Hugenotten. Er setzte sich insbesondere für die durch ihr résister (Widerstehen) bekannt gewordene hugenottische Bekennerin Marie Durand (1711-1776) ein, die 1768 nach 38-jähriger Haft den Tour de Constance in Aigues-Mortes verlassen durfte. Er kämpfte auch für die Aufklärung des an dem Toulouser Kaufmann protestantischer Herkunft Jean Calas verübten Justizmordes, dessen Tod durch Rädern und Verbrennung der Leiche auf dem Scheiterhaufen 1762 Europa erschütterte. Auch der Philosoph Voltaire wurde zum Fürsprecher der Familie Calas und forderte den Sieg der Toleranz in Frankreich. In Deutschland hat der Berliner Graphiker hugenottischer Abstammung Nikolaus Daniel Chodowiecki (1726-1801) der unglücklichen Familie Calas ein bleibendes künstlerisches Denkmal gesetzt.
In den Camisardenkriegen von 1702-1704/10 leisteten zahlreiche, in den protestantischen Cevennen verbliebene Hugenotten unter ihrem Anführer Jean Cavalier (1681-1740) den königlichen Regimentern erbitterten, aber letztendlich erfolglosen Widerstand. Die Aufständischen wurden von jungen Frauen, so genannten Prophetinnen, begleitet.
Ein Ende der langen Leidens- und Verfolgungszeit der Protestanten in Frankreich kam 1787, als Ludwig XVI. von Frankreich (1754-1793) mit dem Toleranzedikt von Versailles allen Hugenotten in seinem Königreich bürgerliche Anerkennung zugestand. Religionsfreiheit erhielten sie 1789 durch die Deklaration der Menschenrechte der Französischen Revolution, die 1804 im Code Napoléon untermauert wurde.
Der heutigen kleinen, aber einflussreichen reformierten Kirche in Frankreich gehört etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung an.
Im Zweiten Weltkrieg haben sich viele Protestanten in Frankreich der politischen Widerstandsbewegung Résistance angeschlossen. Nach 1945 hat der französische Pfarrer Marc Boegner (1881-1970) im ökumenischen Kontext der Weltkirchen seine Stimme für den französischen Protestantismus geltend gemacht und im eigenen Land die Zusammenarbeit der reformierten und lutherischen Protestanten gefördert. Aus den Bemühungen Boegners ist die Fédération protestante de France (F.P.F.), ein Zusammenschluss aller Protestanten im Lande, entstanden. Sichtbarer geistlicher Höhepunkt der reformierten Christen in Frankreich ist der jährliche Gottesdienst in der Wüste, der Zehntausende am ersten Sonntag im September in Mialet in den Cevennen versammelt.
In den letzten Jahrzehnten hat die Landflucht in den protestantischen Hochburgen Südfrankreichs zu starken Mitgliederverlusten der dortigen Gemeinden geführt.


 

Die Hugenotten in Deutschland

Ca. 170.000 reformierte Christen (ca. 8 % der Gesamtbevölkerung Frankreichs) verließen ihre Heimat trotz des Verbots durch die Krone. Sie begaben sich als Glaubensflüchtlinge in das sogenannte Refuge (wörtlich: Zufluchtsort, Asyl). Viele Réfugiés, vor allem aus Südfrankreich, zogen über Genf, Bern, Schaffhausen, Basel und rheinabwärts bis nach Frankfurt am Main, das zur Drehscheibe des Refuge wurde.
Insgesamt kamen ca. 38.000 französische Glaubensflüchtlinge in deutsche Territorien. Damit steht Deutschland nach Großbritannien und den Niederlanden an dritter Stelle der Aufnahmeländer.
Von Frankfurt aus erfolgte die Weiterreise in deutsche Territorien und zwar vor allem nach Brandenburg-Preußen, das ca. 18.000 Réfugiés aufnahm, und Hessen-Kassel, wo 3.800 Flüchtlinge eine neue Heimat fanden.

 

Brandenburg-Preussen

Am 29. Oktober 1685 erließ Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst von Brandenburg (1620-1688) das Edikt von Potsdam. Mit diesem Edikt lud er die aus Frankreich flüchtenden Hugenotten in seine Territorien ein. Hintergrund für sein Handeln waren die großen ökonomischen Probleme in Brandenburg-Preußen, die nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) keineswegs überwunden waren. Dementsprechend zielte das Edikt von Potsdam nicht nur auf Bevölkerungszuwachs (peuplierung) im Allgemeinen, sondern auf wirtschaftliche Innovationen wie bisher unbekannte Handwerkszweige oder Produktionsformen, welche die Neuankömmlingen ins Land bringen sollten. Daß der Große Kurfürst wie die Flüchtlinge von reformierter Konfession war, spielte bei seiner Einladung eine geringere Rolle.
Auf der Grundlage der Bestimmungen des Edikts von Potsdam entstanden trotz erheblicher Spannungen zwischen den Neuankömmlungen und den Einheimischen aufgrund der Protektion der Herrschers innerhalb von etwa drei Jahrzehnten eine Französische Kirche und Kolonie in Brandenburg-Preußen. Während die französisch-reformierten Gemeinden entsprechend der discipline ecclésiastique einen Gemeinderat besaßen, also presbyterial aufgebaut waren, wurde das synodale Prinzip der Reformierten in Frankreich von der brandenburg-preußischen Herrschaft nicht geduldet. Als oberste Aufsichtsbehörde fungierte dort vielmehr ein Französisches Konsistorium (consistoire supérieure) mit den Kurfürsten, später den preußischen Königen als Bischöfe (summi episcopi) an der Spitze. Im bürgerlichen Bereich entwickelte sich die Französische Kolonie - hier als Bezeichnung aller Niederlassungen, den Französischen Kolonien, im Lande - mit eigenem Bürgerrecht und eigener Gerichtsbarkeit, mit dem Französischen Oberdirektorium und dem chef de la nation an dessen Spitze als Leitungsorgan. Die Französische Kolonie blieb bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestehen, einige der französisch-reformierten Kirchengemeinden (u.a. Angermünde, Battin, Bergholz, Berlin, Bernau, Gramzow, Groß- und Klein-Ziethen, Potsdam, Prenzlau, Schwedt) exisitieren bis heute - teilweise allerdings in Verbindung mit deutsch-reformierten Gemeinden, als Zusammenschluss mehrerer französisch-reformierter Gemeinden oder ohne eigenen Geistlichen, von anderen französisch-reformierten Gemeinden betreut.
Die Mehrheit der Französischen Kolonien und Kirchen, die sich meist in Städten befanden, lag in einem 150 Kilometer weiten Umkreis um Berlin. Ländliche Ansiedlungen gab es in der Uckermark, nördlich von Berlin, und im Norden Ostpreußens, im so genannten Preußisch-Litauen. Außer in der Mitte und dem Osten der hohenzollernschen Herrschaft hatten sich Réfugiés auch im Westen wie in Kleve und Soest sowie in der Gegend um Magdeburg niedergelassen. Nach Berlin als der größten Kirche und Kolonie (um 1700 etwa 7.000 Réfugiés ) folgte Magdeburg als zweitgrößte Ansiedlung mit etwa 1.100 Einwanderern. Insgesamt dürften etwa 18.000 Hugenotten dem Ruf des Großen Kurfürsten und seinen Nachfolgern gefolgt sein, was etwa 50 Prozent des deutschen Refuge entspricht.
Dessen Vorstellung von der wirtschaftlichen Schubkraft der Neuankömmlinge wurde nur begrenzt erfüllt. Tatsächlich vermittelten sie produktionstechnische und arbeitsorganisatorische Fähigkeiten und Fertigkeiten vor allem im Bekleidungsgewerbe, aber der gewünschte industrielle Aufschwung blieb weitestgehend aus. Ohne staatliche Subventionen waren zum Beispiel die von ihnen etablierten Manufakturen in ihrer Mehrzahl nicht lebensfähig.
Von herausragender Bedeutung hingegen waren die Réfugiés im Bereich von Wissenschaft und Kultur. Sie kamen nach 1685 aus einem Land, das zu diesem Zeitpunkt die führende Kulturnation Europas war. Für die Hugenotten war Französisch ihre Muttersprache. Ihre Elite war mit der dortigen Literatur- und Wissenschaftslandschaft vertraut und bald auch mit der noch immer vom Lateinischen beherrschten Wissenschaft und Literatur des deutschsprachigen Raumes. So nahmen sie bald die Funktion von Mittlern zwischen den Kulturen ihren alten und neuen Heimat ein. Ohne Réfugiés wie den Pufendorf-Übersetzer Jean Barbeyrac oder den Übersetzer des bekannten mitteldeutschen Philosophen Christian Wolff, Jean Henry Samuel Formey, hätte eine Institution wie die Berliner Akademie der Wissenschaften, dessen Sekretär Formey über Jahrzehnte war, nicht jenen ausgezeichneten Ruf erwerben können, den sie ihn im 18. Jahrhundert besaß. Mochte auch die Mehrzahl der Réfugiés nicht die Genialität eines Voltaire besitzen, so leisteten sie doch jene mühevolle Quellenarbeit, die für die entsprechend großen philospischen und literarischen Entwürfe der Aufklärung Voraussetzung waren. Zugleich vermittelten sie die jeweils neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in den von ihnen gegründeten und über Jahrzehnte fortgesetzten Zeitschriften ( zu denken ist hier an die Bibliothèque Germanique) an ein deutsch-französisches Publikum. So werden sie zu Recht als Handwerker der Aufklärung bezeichnet, die Berlin zu einem der Mittelpunkte der europäischen Gelehrtenrepublik machten. Dabei spielte das Verlags- und Buchhändlerwesen, das im Berlin des 18. Jahrhunderts nicht zuletzt in hugenottischen Händen lag. Daniel Chodowiecki, Maler und Kupferstecher des 18. Jahrhunderts aus polnisch-hugenottischer Familie belegt schließlich beispielhaft die Fähigkeiten der Hugenotten auch auf dem Gebiet der darstellenden Kunst als Vermittler zwischen den Kulturen Deutschland und Frankreichs, als Vermittler der Aufklärung in Preußen und darüber hinaus in Deutschland zu wirken. Schließlich muss noch Theodor Fontane - bewusster Spross einer hugenottischen Familie - erwähnt werden, der im 19. Jahrhundert als sozialkritischer Romancier einer der bekanntesten preußischen Literaten war.



Hessen

Der reformierte hessische Landgraf Carl lud mit seiner Freiheitskonzession vom 18. April 1685 aus christlicher Compassion hugenottische Glaubensfreunde in sein Land. Sie kamen in zwei Schüben 1686/87 und 1698/99. Der Landgraf erhoffte von den Hugenotten eine Stärkung der Wirtschaft des Landes. Dem Aufruf folgten aber weit mehr unbemittelte waldensische Bergbauern als finanzkräftige Manufakturisten. So wurde das nördliche Hessen neben der brandenburgischen Uckermark zu einem Paradebeispiel für das ländliche Refuge. Nördlich von Kassel im Umkreis von Hofgeismar entstanden seit 1686 für die Réfugiés zahlreiche neue Dörfer, die Kolonien genannt wurden. Sie wurden am Rande der Feldfluren der hessischen Ackerbürgerstädte errichtet, wo im Mittelalter bereits Orte bestanden hatten. In den Kolonien wohnten jeweils ca. 20 bis 30 französische Flüchtlinge mit ihren Familien. Sie betrieben als Bauern Acker- und Viehwirtschaft, daneben gelegentlich auch ein Handwerk. Da die Portionsländereien (ca. 3-5 Hektar pro Familie) in den Kolonien für die Hugenotten staatlich subventioniert waren, durften sich keine Deutschen in den neuen Dörfern niederlassen, obwohl sie Hand- und Spanndienste beim Aufbau der französischen Dörfer geleistet hatten. Das führte zu einer teilweise feindseligen Einstellung der Einheimischen gegen die Neubürger. Später kamen deutsche Hirten und andere Besitzlose in die französischen Dörfer. Dieses deutsche Element wurde verstärkt durch Mischehen, die immer häufiger für die Integration der Fremden in der neuen Heimat beitrugen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts drang die deutsche Sprache in die Familien der Réfugiés und in ihre Schulen und Kirchen ein.
Erst ca. 1825 wurden die französisch-reformierten Gemeinden endgültig in die hessische deutsch-reformierte Kirche eingegliedert. Französisches Brauchtum hat sich bis heute erhalten.
Das festfreudige Hugenottendorf Kelze, nördlich von Kassel gelegen, feiert an jedem ersten Sonntag im Mai das Mayencefest, ein aus Südfrankreich mitgebrachter Frühlingsbrauch. Ein 3- bis 4-jähriges Mädchen wird als Mayencekönigin von den älteren Mädchen durch das Dorf geführt. Dabei trägt eine Konfirmandin einen bänder- und blumengeschmückten Stab. Andere führen einen Korb mit sich und eine Sparbüchse, in denen Eier und Geld gesammelt werden. An jeder Haustür singen die Mädchen (Jungen dürfen nicht dabei sein) das Mayencelied, einen Heischevers in französischer Mundart. Leider ist der genaue Wortsinn nicht mehr zu ermitteln.
Auch die Kelzer Jungen feiern ihr Fest, den Kelzer Karneval, mit einem Umzug durchs Dorf und Tanz in den Straßen, der von einem verkleideten Bären angeführt wird. Dieses Fest wird am Aschermittwoch gefeiert. Die Kelzer Dorfbewohner behaupten, dieser Termin sei als Affront gegen die katholischen Unterdrücker ausgewählt worden, die diesen Tag in Sack und Asche begingen.
Neben den Dörfern des ländlichen Refuge entstanden im nördlichen Hessen zwei städtische Neugründungen: die Kasseler Oberneustadt und Karlshafen an der Mündung der Diemel in die Weser. Die Kasseler Oberneustadt wurde im 2. Weltkrieg völlig zerstört. Die ehrgeizigen Pläne, die Landgraf Carl mit der nach seinem Namen genannten Stadt Karlshafen verband, erfüllten sich nicht. Bad Karlshafen ist heute eine Kurstadt, deren wirtschaftliche Basis die von einem Hugenotten entdeckten Solequellen sind. Die dort angesiedelten Manufakturen blieben erfolglos. Da Karlshafen nicht expandierte, blieb glücklicherweise die Bausubstanz der Gründerzeit fast unverändert erhalten. Die 1699 gegründete Stadt ist so ein Beispiel geschlossener barocker Architektur der Zeit. Heute befindet sich am historischen Hafen in Bad Karlshafen das Deutsche Hugenotten-Zentrum.
Von einer eigentlichen hugenottischen Architektur kann in Kassel und Karlshafen und im gesamten deutschen Refuge jedoch nicht geredet werden. Allerdings sind die in den neuen Dörfern und Städten zahlreich entstandenen Kirchen für die Glaubensflüchtlinge Beispiele für den reformierten Kirchbau. Hier standen französisch-reformierte Kirchen in Frankreich Pate, besonders der berühmte temple von Charenton vor den Toren der Hauptstadt Paris.

Im südlichen Hessen entstanden schon im 16. Jahrhundert wallonische Fremdengemeinden, von denen die 1554 in Frankfurt am Main und 1597 in Hanau entstandenen niederländisch-wallonischen Gemeinden die bedeutsamsten sind.
Nach 1685 holte Landgraf Friedrich II. von Hessen-Homburg französische Réfugiés in sein Land. Ihm wird der Ausspruch zugeschrieben: Lieber will ich mein Silbergerät verkaufen als diesen armen Leuten die Aufnahme verweigern. Der Landgraf gründete 1687 Homburg-Neustadt, das nach ihm benannte Friedrichsdorf am Taunus und 1699 das Waldenserdorf Dornholzhausen. Dort hielt sich die französische Sprache bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch im nördlichen Hessen gab es Gemeinden, in denen die Bewohner an ihrer Heimatsprache, oft einem okzitanischen Patois, bis weit in das 19. Jahrhundert festhielten. In Louisendorf bei Marburg erzählte der Bürgermeister noch ca. 1950 in der Sprache der Väter das französische Märchen vom Wolf und den zwei (!) Geißlein. In Friedrichsdorf war die noch lebendige französische Sprache der Bewohner ein Grund dafür, dass dort 1890 der Deutsche Hugenotten-Verein (heute Deutsche Hugenotten-Gesellschaft) gegründet wurde.
Auch in den isenburgischen Grafschaften entstanden Hugenottenorte bzw. - gemeinden. Von ihnen sollen Neu-Isenburg (gegründet 1700) mit seiner geometrischen Ortsanlage und die noch heute vorhandene französisch-reformierte Gemeinde in Offenbach (gegründet 1699) besonders hervorgehoben werden, weil die Hugenotten in den beiden Orten wirtschaftlichen Erfolg hatten. In Neu-Isenburg arbeiteten u. a. französische Strumpfwirker, Hasenhaarschneider und Hutmacher. In Offenbach legten Réfugiés die Grundlage für die noch heute bestehende Lederwarenindustrie.


 

Pfalz und Saarland

Die an Frankreich angrenzende Pfalz und das Saarland mit ihrer Vielfalt historischer Fürstentümer haben unter Kriegen mit dem westlichen Nachbarn und der Flüchtlingsnot besonders gelitten. Unter Kurfürst Friedrich dem Frommen (1559-1576) wurde die Kurpfalz reformiert. 1588 führte Herzog Johann I. das Herzogtum Zweibrücken zum Calvinismus. 1575 entschied sich der saarländische Graf Philipp III. für den Anschluss an die Reformation lutherischer Prägung.
Wegen ihrer geographischen Lage wurden das Saarland und die pfälzischen Fürstentümer schon frühzeitig zu einem beliebten Aufnahme-, aber auch Durchgangsland für die französischen Réfugiés. Schon im 16. Jahrhundert bildeten sich wallonische Fremdengemeinden, so u. a. nach 1560 in der Residenzstadt Heidelberg, dem deutschen Genf, in dem 1563 der weltweit bekannte reformierte Heidelberger Katechismus erstmals erschien.
Weitere Gemeinden entstanden auf kurpfälzischem Territorium u. a. 1562 in Frankenthal, 1568 in Mannheim, 1577 in St. Lambrecht und 1579 in Otterberg. 1605 wurde in der Residenzstadt Zweibrücken eine kleine französisch-reformierte Gemeinde gegründet.
Die Wallonen in der Kurpfalz wurden durch den Einfall der Franzosen im Pfälzischen Erbfolgekrieg und die Zerstörung von Heidelberg und Mannheim (1688/89) erneut heimatlos. Viele von ihnen zogen zusammen mit französischen Réfugiés nach Magdeburg und Halle an der Saale, wo neue wallonische Gemeinden entstanden.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg, durch den die Pfalz erhebliche Bevölkerungsverluste hatte, ließen sich französische Glaubenflüchtlinge südlich von Landau und westlich von Mannheim nieder.
Die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 veranlasste nur wenige der zahlreichen Glaubensflüchtlinge, sich in der linksrheinischen Pfalz niederzulassen, weil das Gebiet unter der Kontrolle der französischen Krone stand.
In dem schon 1604 gegründeten und mehrmals zerstörten Ludweiler im Warndt und in Zweibrücken-Ernstweiler fanden vor allem Reformierte aus dem benachbarten Metz und seiner lothringischen Umgebung Asyl.


 

Franken

Brandenburg-Bayreuth und Brandenburg-Ansbach waren Nebenlinien der Hauptlinie des Kurhauses Brandenburg(-Preußen). Bei seinem kurfürstlichen Verwandten in Brandenburg mit reformiertem Gedankengut in Berührung gekommen verband der lutherische Markgraf Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth Gründe christlichen Mitleids vor allem mit denen wirtschaftlicher Art bei seinem Wunsch, Hugenotten in sein Land zu holen. Für ihn war die Aufnahme reformierter Glaubensflüchtlinge allerdings keineswegs leicht: Nur gegen den heftigen Widerstand seines lutherischen Konsistoriums konnte er am 27. November 1685 erstmals Privilegien für die Hugenotten, denen weitere folgen sollten, erlassen. Schließlich kamen etwa 3200 von ihren Deputierten geführten Flüchtlinge aus dem schweizerischen Zwischenaufenthalt nach Franken. Provisorisch untergebracht wurden sie in Hof, Kulmbach, Baiersdorf und Erlangen. Besonders Manufakuristen und Gewerbetreibende wollte der Markgraf ansiedeln. Auf seine Initiative ging auch die Gründung der Stadt Neu-Erlang (auch Christian-Erlang) südlich von Erlang zurück. Das heutige Erlangen wurde zu einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Kolonien des Refuge in Deutschland. Besonders Textilerzeugung, Strumpfwirkerei, Teppichmanufakturen und andere neu eingeführte Gewerbe, in bisher unbekannten Organisationsformen bereicherten die Wirtschaft des Aufnahmelandes. In dem Privileg für Neu-Erlang wie in anderen Privilegien auch wurde den Hugenotten eine gewisse rechtliche und wirtschaftliche Sonderstellung gewährt, aus dem sich mit dem Erlanger conseil de Justic ein gewisses Selbstverwaltungsorgan entwickelte. Mit der Eingliederung der französischen Kolonien in den absolutistischen Territorialstaat gegen Ende des 17. Jahrhunderts fand die Selbstverwaltung jedoch bereits wieder ihr Ende. Ähnlich erging es der 1688 gegründeten Fränkischen Synode, die den zugehörigen Hugenottengemeinden zunächst im Sinne der französischen Kirchenordnung ein Stück Selbstverantwortung in Richtung einer Synodalverfassung gewährte - ein im deutschen Refuge höchst bemerkenswerter Vorgang, da außer sich außer in Niedersachsen das synodale Prinzip nirgends auch nur vorübergehend durchsetzen konnte. Die Fränkische Synode bestand aus den französisch-reformierten Gemeinden Erlangen, Bayreuth, Wilhelmsdorf, Naila (jeweils Brandenburg-Bayreuth) Schwabach (Brandenburg-Ansbach) und der Thüringer französisch-reformierten Gemeinde Hildburghausen. Bereits 1732 wurde sie auf preußischen Druck wieder abgeschafft. Heute exisitieren evangelisch-reformierte Gemeinden, die auf französisch-reformierte Traditionen zurückblicken können, noch in Bayreuth, Erlangen und Schwabach.


 

Baden und Württemberg

Der lutherische Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg (gest. 1733) setzte 1699 eine Waldenser-Deputation ein und holte Waldenser in sein Land, die in kleinen Dörfern, die oft nach den Heimatorten benannt wurden, wie z. B. Perouse und Pinache bei Mühlacker, angesiedelt wurden.
Hugenottengemeinden gab es dagegen nur wenige in Württemberg und Baden, so z. B. die 1701 in Cannstatt und 1724 in Stuttgart begründeten französisch-reformierten Kirchengemeinden, die 1749 zusammengelegt wurden. In Baden-Durlach entstand 1699 Friedrichstal, in dem von den Réfugiés wie in der Uckermark Tabakanbau und - verarbeitung eingeführt wurden. Ebenfalls in 1699 entstand in Pforzheim eine französisch-reformierte Kirchengemeinde. Die dort angesiedelten Réfugiés machten sich u. a. um die Entwicklung der Pforzheimer Schmuckwarenindustrie verdient.

 

Hugenotten in Norddeutschland
(Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern)

Fast 10% der in die deutschen Territorien eingewanderten Hugenotten fanden im Gebiet des heutigen Niedersachsen, in den Hansestädten, in Glückstadt sowie in der einzigen Hugenottenkolonie Mecklenburg-Vorpommerns Bützow Aufnahme. Handelsstädte, Garnisonstädte aber auch Residenzstädte wurden zur neuen Heimat für die Glaubensflüchtlinge. Sowohl die landsmannschaftliche Zusammensetzung als auch die Sozialstruktur der Hugenottenkolonien waren in Norddeutschland von Ort zu Ort verschieden. So betrug z. B. in der größten niedersächsischen Hugenottenkolonie Hameln, die durch Handwerker und Kaufleute bestimmt war, der Anteil der Südfranzosen 77%. Dagegen stammten in der von der Residenz geprägten Celler Kolonie 70% der Réfugiés aus Nordfrankreich. Betrachtet man beispielsweise in den Residenzstädten Celle und Hannover die Namensliste der damaligen Höflinge, Pagen, Ehrendamen, Verantwortlichen im Jagd- und Heerwesen, aber auch der Kammerfrauen, Lakaien und Kammerdiener, so fallen unweigerlich die zahlreichen französischen Namen auf. Am Hofe des Celler Herzogs Georg Wilhelm, der mit der Hugenottin Eléonore Desmier d'Olbreuse verheiratet war, standen etwa 90 der rund 300 zugezogenen Hugenotten im Hofdienst. Welche Dominanz die Franzosen mitunter bei Hofe besaßen, belegt ein Ausspruch, den ein Reisender gegenüber dem Celler Herzog Georg-Wilhelm getan haben soll: Es ist in der tat artig genug, Gnädigster Herr, daß sich hier kein Fremder als nur sie befinden.
Im Gebiet der drei lutherischen welfischen Herzogtümer Braunschweig-Lüneburg, Braunschweig-Calenberg und Braunschweig-Wolfenbüttel sowie in der benachbarten Grafschaft Schaumburg-Lippe schlossen sich 1703 die französisch- und deutsch-reformierten Kirchengemeinden zu einem eigenen Synodalverband, der Niedersächsischen Konföderation zusammen. Ihr gehörten im 18. Jahrhundert die französisch-reformierten Gemeinden in Braunschweig, Bückeburg, Celle, Hameln, Hannover und Lüneburg an. Als Richtschnur dieser neben der Fränkischen (s.o.) einzigen Hugenottensynode auf deutschem Boden galten das französisch-reformierte Glaubensbekenntnis (confession de foi) und die französisch-reformierte Kirchenordnung (discipline ecclesiastique). Die einzige Hugenottengemeinde auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens, die nicht Mitglied dieser Konföderation war, befand sich in Emden.
Durchaus unterschiedlicher Prägung waren auch die Hugenottenkolonien in den Hansestädten Bremen, Lübeck und Hamburg, wo sich führende Handelshäuser in hugenottischem Besitz befanden. Im Gegensatz zu Bremen, wo der Calvinismus bereits seit dem Ende des 16. Jahrhunderts als offizielle Konfession der Stadt eingeführt worden war, trafen die Hugenotten in Lübeck oder Hamburg auf eine anticalvinistische lutherische Orthodoxie. Da der Rat der Stadt Hamburg auf der einen Seite zwar Hugenotten aus wirtschaftlichem Interesse freie Niederlassung gewährte, auf der anderen Seite jedoch erst nach 1785 reformierte Gottesdienste auf hamburgischen Boden zuließ, orientierten sich die Franzosen kirchlich zunächst nach Altona, das unter dänischer Oberhoheit stand. Dort hatte es, wie auch in Emden und Stade, bereits im 16. Jahrhundert eine wallonisch-reformierte Gemeinde gegeben. Auch in Lübeck warnten die lutherischen Geistlichen vor dem calvinistischen Wolf. Und welch skurrile Formen die konfessionelle Intoleranz annehmen konnte, belegt die Tatsache, dass die vor den Toren Lübecks erbaute reformierte Kirche mit zwei Schornstein-Attrappen versehen wurde, nur um dem Gebäude in der lutherischen Stadt den kirchlichen Charakter zu nehmen. Eine Heizung gab es freilich nicht.
Im Laufe der Zeit vereinigten sich die meisten französisch-reformierten Gemeinden mit den ortsansässigen deutsch-reformierten Gemeinden. Als letzte norddeutsche Hugenottengemeinde gab 1976 die Eglise réformée française de Hambourg ihre Selbständigkeit auf. Doch bis auf den heutigen Tag sind die Melodien des Hugenottenpsalters in den Gottesdiensten der evangelisch-reformierten Gemeinden Norddeutschlands ein lebendiges Erbe der französischen Glaubensflüchtlinge.

Sachsen

In Sachsen, einem lutherisch geprägtes Territorium, dessen Kurfürst Friedrich August I. oder August der Starke (1670-1733) 1697 zwecks Erwerbs der polnischen Krone zum Katholizismus übergetreten war, gab es vor allem von Seiten der lutherischen, antireformiert eingestellten Stände und Kirche kein Interesse, die reformierten französischen Flüchtlinge zwecks Peuplierung ins Land einzuladen. Dennoch kamen etwa zweihundertfünfzig Hugenotten nach Sachsen, die sich außer als Hofbedienstete (etwa 100 Personen) im weitesten Sinne des Wortes in der Residenzen Dresden vor allem als Kaufleute in der Handels- und Messestadt Leipzig niederließen. Pläne August des Starken 1707 bzw. 1713 eigene französische Kolonien in seinem Land einrichten zu lassen zerschlugen sich am Widerstand der lutherischen Stände und Kirche. So waren die Hugenotten in Sachsen nur geduldet. Eine Gemeinde im Verborgenen gab es in Dresden seit 1689. In Leipzig versammelten sich seit 1.700 einige Gläubige im privaten häuslichen Bereich zu Andachten, denen bald ein Geistlicher, Pierre Butini aus Genf, vorstand. Aber erst nach Zahlung der enormen Summe von 7.000 Talern erhielten die reformierten Franzosen in Leipzig die königliche Erlaubnis zur offiziellen Gründung einer eigenen Gemeinde. Die Gottesdienstgebäude wechselten - ein Zeichen, dass die reformierten Franzosen von der lutherischen Kirche noch immer nicht gern gesehen waren, obwohl oder gerade weil sie wirtschaftlich erfolgreich waren und ihre Handelsbeziehungen nicht nur in den Westen, nach Frankreich, sondern auch Richtung Osten , nach Russland ausgedehnt hatten. Eine Integration in die sächsische Gesellschaft fand im 18. Jahrhundert nur begrenzt statt: Es gab durchaus vielerlei Kontakte, Ehen jedoch wurden vor allem zwischen Réfugiésnachkommen geschlossen, wobei potentielle Partner auch außerhalb von Sachsen gesucht und gefunden wurden. Die Kirchengemeinden in Leipzig und Dresden gibt es noch heute, allerdings nicht mehr als französisch-, sondern als evangelisch-reformierte Gemeinden.


 

Die Deutsche Hugenotten-Gesellschaft

Es war vor allem der Initiative des Predigers der Französisch-Reformierten Kirchengemeinde Magdeburgs, Dr. Henri Tollin (1833-1902) und des Berliner Amtsrichters Richard Béringuier (1854-1916) zu verdanken, dass am 29. September 1890 der Deutsche Hugenotten-Verein gegründet wurde. 1998 erfolgte die Umbenennung in Deutsche Hugenotten-Gesellschaft e.V. (DHG).
Der Deutsche Hugenotten-Verein sollte die Ende des 19. Jahrhunderts noch zahlreich vorhandenen französisch-reformierten Kirchengemeinden im deutschen Refuge in ihrer Arbeit unterstützen und den einzelnen Hugenottennachkommen die hugenottische Tradition verdeutlichen. Dazu dienten die Geschichtsblätter, die Henri Tollin und seine Nachfolger als Schriftleiter 1892 beginnend in unregelmäßigen Abständen herausgaben.
Vereinsorgan wurde zunächst Die Französische Colonie, eine Berliner Monatsschrift, die von 1887-1906 in 20 Jahrgängen erschien. Nach einer z. T. kriegsbedingten Pause kam der Deutsche Hugenotten-Verein erst wieder 1929 zu einer eigenen Zeitschrift, dem Deutschen Hugenott, der seitdem mit einer Lücke im Zweiten Weltkrieg vierteljährlich herausgegeben wird und seit 1998 mit dem Titel Hugenotten erscheint. Die Deutsche Hugenotten-Gesellschaft hat sich als Aufgaben vor allem gestellt:
- Bewahrung und Förderung der hugenottischen Tradition in Deutschland,
- Erforschung der Geschichte, Theologie und Genealogie der Hugenotten,
- Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft,
- Zusammenarbeit mit hugenottischen Einrichtungen und Gemeinden im In- und Ausland,
- Hilfeleistung für Arme und Flüchtlinge (Diakonie),
- Förderung der Verständigung zwischen den Völkern, Rassen und Religionen im Geiste gegenseitiger Achtung und Toleranz.
Um das zu erreichen, hat die DHG 1989 das Deutsche Hugenotten-Zentrum in 34385 Bad Karlshafen, Hafenplatz 9 a, eingerichtet. Dort befinden sich eine hugenottische Fachbibliothek, eine genealogische Forschungsstelle mit Kopien von Kirchenregistern, Mikrofiches und Mikrofilmen hugenottischer Gemeinden, eine Datenbank zur Genealogie der Hugenotten, Archiv und Bildarchiv der Gesellschaft mit einer Porträt- und Graphiksammlung zur Hugenottengeschichte und Verlag sowie Geschäftsstelle des Vereins. Von dort werden die im Turnus von zwei Jahren durchgeführten Deutschen Hugenottentage in wichtigen Städten des deutschen Refuge organisiert.
Zum 100 - jährigen Bestehen 1990 in Friedrichsdorf hat der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einem Grußwort über das Wirken der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft geschrieben: Es wird auch in Zukunft auf ein nachhaltiges Interesse stoßen, gerade wenn das Zusammenwachsen von Europa und Deutschland uns neue Zugänge zu den gemeinsamen Quellen der Geschichte eröffnet.